ONLINE EXHIBITION
Deutsches Archäologisches Institut Athen
Die archäologische Sammlung des DAI Athen als Quelle zur Topographie und Siedlungsgeschichte des antiken Griechenlands
Die Abteilung Athen des DAI verfügt über eine ca. 37.000 Artefakte umfassende Archäologische Sammlung. Den größten Teil bilden 32.000 Keramikscherben, gefolgt von ca. 3.000 Obsidianabschlägen und -klingen. Bei den Scherben aller Epochen dominiert die Feinkeramik. Bei mehr als der Hälfte der Fragmente handelt es sich um prähistorische Erzeugnisse. Die Funde stammen aus weiten Teilen Griechenlands, mit einem Schwerpunkt auf Attika, der Argolis, der Korinthia, Böotien sowie den Kykladen.
Dazu kommen verschiedene Kleinfunde aus Metall, Stein und weiteren Materialien. Auch einige Wandmalereifragmente gehören zu den Beständen.
Die meisten Funde wurde von Institutsmitarbeitern in der Zeit von der Gründung der Athener Abteilung im Jahr 1874 bis zum Zweiten Weltkrieg bei Landesbegehungen gesammelt. Im späten 19. Jahrhundert gehörten Habbo Gerhard Lolling und Paul Wolters zu den in diesem Bereich aktiven Forschern. Insgesamt sind in der Zeit bis zum Ersten Weltkrieg jedoch deutlich weniger Objekte in das DAI Athen gelangt als in der nachfolgenden Zwischenkriegszeit. Etwa 10.000 Scherben wurden der Sammlung durch Walther Wrede zugeführt, der in den Jahren von 1921 bis 1944 umfangreiche Landesbegehungen in Attika und der Argolis durchführte. Auch durch Kurt Gebauer wurden die Bestände erheblich vermehrt. Er führte in den späten 30er Jahren des 20. Jahrhunderts systematische Landesbegehungen in der Argolis und in der Korinthia durch. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten nur noch wenige Fundstücke in die Sammlung; sie stammen zum Teil aus Nachlässen verstorbener Archäologen.
Habbo Gerhard Lolling (1848–1894)
Ab 1879 Assistent/Hilfsarbeiter am DAI Athen.
1886-1888 Bibliothekar am DAI Athen.
Das Photo zeigt ihn um 1888 auf der Athener Akropolis auf einem archaischen Inschriftenblock östlich des Parthenon sitzend.
Paul Wolters (1858–1936)
1883/84–1886/87 Stipendiat des DAI.
1887–1900 Zweiten Sekretar (Direktor) des DAI Athen.
Wolters ist hier 1882 in Oropos zu sehen.
Walther Wrede (1893–1990)
1926–1927 Assistent am DAI Athen.
Ab 1927 Zweiter Direktor des DAI Athen. 1935 Landesgruppenleiter der NSDAP in Griechenland.
1937–1944 Erster Direktor des DAI Athen.
Das Porträt entstand in den 1930er Jahren.
Kurt Gebauer (1909–1942)
1938 Assistent/Hilfsarbeiter.
1939–1942 Assistent am DAI Athen und Mitarbeiter der Grabung im Kerameikos.
Kurt Gebauer, unterwegs in der Argolis, 1938.
Literatur
K. Brandt, Paul Wolters – in den Blickpunkt gerückt, AtheNea 2018/19, 96–99
(LINK)
U. Jantzen, Einhundert Jahre Athener Institut 1874–1974, DAIGeschDok 10 (Mainz 1986)
(LINK)
M. Krumme, Walther Wrede (1893–1990), in: G. Brands – M. Maischberger (Hrsg.), Lebensbilder. Klassische Archäologen und der Nationalsozialismus Bd. 1 (Rhaden 2012) 159–176
(LINK)
R. Lullies – W. Schiering (Hrsg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen deutscher Sprache (Mainz 1988)
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In den Jahren 2021 bis 2023 wurden im Rahmen des Projekts „Shapes of Ancient Greece“ neue Grundlagen für die wissenschaftliche Erschließung der Sammlung geschaffen. Primäres Ziel des vollumfänglich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekts war die digitale Dokumentation des Gesamtbestands. Dazu wurden die Objekte sowohl fotografiert als auch gescannt. Mit dem Spezial-Scanner „Laser Aided Profiler“ wurden zweidimensionale Profilzeichnungen erzeugt. Von einigen besonders dafür geeigneten Fundstücken wurden außerdem mit dem Structure from Motion-Verfahren 3D-Modelle generiert. Ein weiteres Ziel des Projekts war die Rekontextualisierung von Funden, zu denen keine oder nur ungenügende Fundortinformationen vorliegen. Als Quelle dienten dafür insbesondere die umfangreichen Bestände des wissenschaftlichen Archivs des DAI Athen, deren Digitalisierung parallel ebenfalls voranschreitet. Künftig sollen die Materialien vernetzt in der iDAI.world zugänglich sein.
Die Digitalisate der Sammlungsobjekte wurden in der zentralen Objektdatenbank des Deutschen Archäologischen Instituts iDAI.objects (Arachne) veröffentlicht:
Zudem wurden Verknüpfungen mit den Datenbanken iDAI.bibliography (Zenon), iDAI.gazetteer und iDAI.archives erstellt. Die mit dem Laser Aided Profiler erzeugten maßstabsgetreuen Zeichnungen mit ihren maschinenlesbaren Umrisslinien eignen sich auch für eine Integration in automatisierte Formenerkennungsverfahren und Ähnlichkeitsanalysen, wie sie durch iDAI.shapes in Zukunft ermöglicht werden sollen.
Mehr zur Verwendung des Laser Aided Profilers: J. Ritter, Forschungen im Rahmen des Projektes »Shapes of Ancient Greece«. Digitales Zeichnen mit dem Laser Aided Profiler“, Forum for Digital Archaeology and Infrastructure 2022, 1–27 (§). doi: 10.34780/f6aa-qca6.
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Eine besondere wissenschaftliche Bedeutung der archäologischen Sammlung des DAI Athen liegt in ihrem Potential zur Rekonstruktion der antiken Topographie und Siedlungsgeschichte Griechenlands. Vielerorts sind heute infolge von Zersiedlung, Überbauung oder Landumnutzung aktuelle Oberflächenbegehungen nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich. Eine besonders massive Überbauung hat in den letzten Jahrzehnten in Attika und insbesondere in der Ebene von Athen stattgefunden. Es ist daher ein wissenschaftlicher Glücksfall, dass gerade von hier reiches Scherbenmaterial stammt, das Anhaltspunkte etwa zur chronologischen Tiefenerstreckung, manchmal sogar zum kulturgeschichtlichen Charakter eines Fundplatzes liefern kann. Viele dieser Fundorte sind heute nur durch in der Sammlung verwahrte Objekte dokumentiert. Ihre Auswertung kann somit die mit aktuellen Methoden der Landschaftsarchäologie erhobenen Informationen zur antiken Topographie ergänzen. Die Ausstellung zeigt zwei Beispiele für eine mit Hilfe von Archivmaterial erfolgreich durchgeführte Rekontextualisierung.
Blick vom Zeusaltar auf den Tourkovunia nach Norden, 1933
Blick von derselben Stelle im Jahr 2022. In der Mitte der überbauten Ebene das Olympiastadium der Spiele 2004
In der Karte sind die 340 Stellen in Attika markiert, von denen Wrede in den Jahren zwischen 1921 und 1944 Funde in die Sammlung des DAI Athen gebracht hat. Angesichts des für ihn wohl absehbaren Abzugs der deutschen Besatzungstruppen aus Griechenland begann Wrede im Oktober 1943 damit, ein Verzeichnis der von Ihm besuchten archäologischen Fundorte anzulegen, das auch knappe Angaben zu den dort aufgelesenen Objekten enthält. Das handschriftliche Originalverzeichnis befindet sich heute im Archiv des DAI Athen. Das Verzeichnis Wredes wurde 1972 mit nur geringfügigen Veränderungen und nicht ganz vollständig von Frank Brommer publiziert. Sehr viele der von Wrede besuchten Orte sind heute vollständig überbaut. Dies gilt insbesondere für viele Fundorte im Norden der Ebene von Athen und an der attischen Westküste, wo sich heute dicht besiedelte Vororte Athens befinden. In der Sammlung des DAI Athen befinden sich außerdem auch Objekte aus attischen Fundorten, die noch vor den Landesbegehungen Wredes das Interesse von Mitarbeitern der Abteilung erweckten. Dazu gehören Wandmalereifragmente aus einer Villa in Alt-Phaleron.
Diese Wandfragmente stammen aus einer Villa, die 1895 von Theodor Wiegand in Phaleron ausgegraben wurde. Zwei der Fragmente weisen eine große gelbe Fläche auf, die von roten und blauen Streifen eingefasst ist. Das dritte Fragment zeigt eine schlanke Säule vor einem dunkelblauen Hintergrund. Am rechten Rand des Fragmentes könnte in weißer Farbe weitere Architektur angedeutet sein. Die in der Sammlung verwahrten Fragmente lassen sich mit dem Wanddekor der Villa in Verbindung setzen, den Wiegand in einem unpublizierten Grabungsbericht folgendermaßen beschreibt: „Die Sockelzonen waren meist in schwarzer, blauer oder roter Farbe bemalt. Darüber befanden sich große gelbe und hellblaue Rechtecke, die durch schmale Linien unterteilt waren.“ Nur ein einziger Raum war mit Architektur-Darstellungen dekoriert. Der beschriebene Dekor passt am besten zu einer Wanddekoration des 4. Pompejanischen Stils (ca. 1.–2. Jh. n. Chr.). Laut Grabungsbericht wurden außerdem zahlreiche Stuckleisten mit filigranen Ornamenten in flachem Relief gefunden, die ebenfalls deutliche Bezüge zum 4. Stil aufweisen. Ein von einer solchen Leiste stammendes Fragment mit Palmettendekor ist unten abgebildet.
Grundriss der Villa nach Theodor Wiegand (1895)
Zu den Karten von Attika: Im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts wurden sie mit Unterstützung des preußischen Unterrichtsministeriums von Vermessern des preußischen Generalstabs zwischen 1875 und 1891 aufgenommen. Dabei wurde nicht nur die Topographie, sondern alle obertägig sichtbaren Anlagen dokumentiert. Das Kartenwerk ist heute noch eine unverzichtbare Grundlage für jede Erforschung des antiken Attika.
Lage der Villa am Kap Kolias
(Ausschnitt aus E. Curtius – J. A. Kaupert (Hrsg.), Karten von Attika (1881–1900)
Aktuelles Luftbild des Geländes (2020)
Landschaften verändern ihr Gesicht nicht nur durch die Errichtung von Gebäuden, sondern auch durch Straßen- und Schienenbau. In der Sammlung des DAI Athen befindet sich ein großes spätgeometrisches Wandfragment (ca. 750 v. Chr.), das laut einer handschriftlichen Notiz, deren Verfasser noch nicht identifiziert werden konnte, beim „Eisenbahneinschnitt am Dipylon“ gefunden wurde. Dies ist der Bereich der Athener S-Bahn dicht vor der Station Theseion. Das Stück stammt von einer monumentalen Bauchhenkelamphora aus der Werkstatt des sogenannten Dipylon-Meisters. Erhalten ist der vom Betrachter aus linke Rand einer Prothesis- oder Ekphora-Szene. Die gut erkennbaren Beine zweier menschlicher Figuren gehören zu Klagefrauen, die eine verstorbene Frau betrauern, die rechts von ihnen zu ergänzen ist. Nur drei vergleichbare Gefäße (vgl. Spätgeometrische Amphora, Nationalmuseum Athen Inv. 804) sind weitgehend vollständig erhalten. An unserem Fragment fällt besonders die außergewöhnliche Größe der Figuren auf, deren Höhe sich auf ca. 15,2 cm ergänzen lässt. Demgegenüber erreichen die Klagefrauen auf der größten (H 1, 80) nahezu vollständig erhaltenen Bauchhenkelamphora (Athen Nationalmuseum Inv. 803) nur eine Höhe von ca. 13,7 cm.
Das hier vorgestellte Fragment wurde erstmals publiziert von F. Brommer, Antiken des Athener Instituts, AM 87, 1972, 291f. Taf. 101.