Archäologische Forschung in Zeiten der Corona-Pandemie: Die Arbeitskampagne 2020 der Pergamongrabung

Gelehrtenbildnisse vor heimischen Bücherregalen und Gruppen-Screenshots aus Videokonferenzen zählen für viele Wissenschaftler*innen zu den prägendsten Bildern der Corona-Pandemie. Dank einer flexiblen IT-Struktur und dem netzbasierten Zugriff auf digitale Wissensbestände war auch das DAI für die Fortsetzung von Forschung und Kommunikation unter plötzlich veränderten Rahmenbedingungen gut gerüstet. Vor allem in den IT-affinen Forschungsfeldern lässt sich eine deutliche Dynamisierung beobachten, und auch die wissenschaftlichen Austauschformate haben sich in kürzester Zeit nachhaltig verändert. Diese Möglichkeiten finden jedoch ihre Grenzen, wenn es um archäologische Forschung im Gelände wie Ausgrabungen, Surveys, Bauaufnahmen, Baudenkmalpflege oder das Studium von Fundmaterial in den Depots der Grabungshäuser und Museen geht. Solche Tätigkeiten haben bislang unsere Sommermonate bestimmt und gehören für viele Archäolog*innen fest zum Jahresrhythmus.

Das gemeinsame Leben und Arbeiten in den Grabungshäusern wird in der Corona-Pandemie jedoch zu einer besonderen Herausforderung. Da die Gesundheit der Mitarbeiter*innen immer oberste Priorität hat, ist neben aktuellen Informationen zur Pandemie-Situation und einem gut funktionierenden Gesundheitssystem vor allem die Umsetzung eines Hygiene-Konzeptes entscheidend, das wirkungsvoll zur Minimierung der Risiken beiträgt. Für die Pergamongrabung bedeutete dies zunächst eine zeitliche Verlängerung der Kampagne gepaart mit der Reduktion der Mitarbeiterzahl, um so die Personendichte im Grabungshaus signifikant zu verringern. Neben gängigen Maßnahmen wie Maskenpflicht, Abstandsregeln, der allgemeinen Verfügbarkeit von Desinfektionsmitteln und der Einrichtung eines Einbahnstraßensystems im Grabungshaus mussten Sanitäranlagen umgebaut und mit neuen Belüftungssystemen ausgestattet sowie Ausweichmöglichkeiten im Quarantänefall geschaffen werden (Abb. 1-4). Neben der großen Disziplin aller Beteiligten ist es auch diesen Maßnahmen zu verdanken, dass die dreimonatige Kampagne ohne Krankheitsfälle über die Bühne gegangen ist.


Erfreulicherweise war die diesjährige Saison in Pergamon nicht nur von der Pandemie, sondern auch von einer Vielzahl überraschender Entdeckungen und Ergebnisse bestimmt, die wenigstens zum Teil für die schwierigen Rahmenbedingungen entschädigen konnten. Zur Auswertung der mikroarchäologischen Grabungen des Vorjahres im Hauptraum des so genannten „Banketthauses“ wurde eine Anlage zum Schlämmen von Bodenproben (Abb. 5) in Betrieb genommen. Erste Analysen des so gewonnenen Fundmaterials zeigen, dass sich faszinierende Einblicke in die späthellenistische Gelage-Praxis und die damit verbundenen Ernährungsweisen eröffnen (Abb. 6).


Mehrere Jahre stand die antike Funeralkultur Pergamons im Mittelpunkt unserer Arbeiten, ohne dass es damals gelungen wäre, weitere hellenistische Gräber zu identifizieren und unter Anwendung eines modernen Methodenspektrums zu untersuchen. Im Jahr 2019 ist dann per Zufall am Nordhang des Stadtberges eine bislang unbekannte Anlage entdeckt worden, die wir in dieser Kampagne vollständig ausgraben konnten. Auf einer schmalen Terrasse, die von zwei Rundbauten flankiert wird, bestattete eine wohlhabende Familie über mehrere Jahrhunderte hinweg ihre Toten (Abb. 7. 8). Die Lage des Bezirks unterhalb einer antiken Ausfallstraße macht ihn zu einem wichtigen Beispiel für die Gestaltung hellenistischer Gräberstraßen, die zu den Leitformen des antiken Bestattungswesens zählen, in Pergamon aber bis heute noch nicht nachgewiesen werden konnten.


Auch die Untersuchungen im Umfeld des vorstädtischen Asklepieions (TransPergMikro; mehr dazu hier) haben neue Erkenntnisse zu den Begräbnisplätzen erbracht. Zum einen lassen sich nun Dimensionen und Grabformen einer ausgedehnten Nekropole fassen, die sich im Westen der antiken Stadt um das Heiligtum herum erstreckte. Mit dem Fund einer Inschrift, die offenbar zum Grabbau eines Augurs gehörte, der aus dem Verhalten von Vögeln den Willen der Götter las, steht uns ein neues individuelles Zeugnis für die Funeralkultur der kaiserzeitlichen Elite Pergamons zur Verfügung.

Ein Schwerpunkt der diesjährigen Umland-Surveys im Rahmen von TransPergMikro war das Tal des Geyikli nordöstlich von Dikili, in dem ländliche Siedlungsreste und Spuren der Landnutzung von der Bronzezeit bis in die osmanische Epoche festgestellt wurden. Dazu zählen unter anderem eine neu entdeckten Nekropole aus Grabhügeln im Zentrum einer kleinen Siedlungskammer (Abb. 9) und eine Kulthöhle der Kybele. Besondere Aufmerksamkeit galt einer teilweise noch oberirdisch erhaltenen römischen Thermalbadeanlage (Abb. 10), deren Ausdehnung weitaus größer zu sein scheint, als bislang angenommen. Neben dem bekannten `Kurort´ Allianoi östlich von Pergamon und dem so genannten Kleopatra Hamamı im Vorfeld der Stadt existierte offenbar auch im Westen der Mikroregion ein aufwendiges Bad, das zur `Wellness´ der kaiserzeitlichen Bewohner*innen der Mikroregion Pergamon beitrug.


Die Keramikherstellung war ein wichtiger Zweig des Wirtschaftslebens in der pergamenischen Landschaft, dessen Erforschung einen Schwerpunkt von TransPergMikro bildet. Die Untersuchung der antiken Töpfereien von Pitane (Çandarlı), deren Geländearbeiten in PE 20 abgeschlossen werden konnten (mehr dazu hier), verspricht neue Einblicke in die zeitliche Entwicklung, die Organisation und den Umfang einer Produktion, die zur regionalen Versorgung beitrug und zugleich in überregionale Distributionsnetzwerke integriert war.

Ein weiteres Projekt, das sich den städtischen Wirtschaftsräumen der Mikroregion Pergamon widmet, konnte die Entwicklung von Produktion und Vertrieb im Bereich der Stadtgrabung rekonstruieren (Abb. 11) und mit Mühlen und Mahlsteinen ein wichtiges `Leitfossil´ der Herstellung von Nahrungsmitteln vergleichend untersuchen (Abb. 12).


Eine weitere Kernfrage von TransPerMikro betrifft Art und Umfang eines großen Bauprogramms, mit dem das Erscheinungsbild Pergamons spätestens im 2. Jahrhundert n. Chr. grundlegend verändert wurde. Mit dem Amphitheater und dem benachbarten römischen Theater (Abb. 13) wurde die Untersuchung zweier Schlüsselmonumente des mutmaßlichen Programms mit den Methoden der archäologischen Bauforschung weiter fortgesetzt (Abb. 14). Im Amphitheater lag der Fokus auf der Kartierung von Schäden an den stehenden Strukturen (Abb. 15) sowie auf der hypothetischen Rekonstruktion des ganzen Gebäudes, die eine wesentliche Voraussetzung ist für bauökonomische Untersuchungen unter anderem zum Ressourcenverbrauch. Daraus ergeben sich inhaltliche Schnittstellen zu den Arbeiten von Archäologie und Physischer Geographie.


Das internationale Geographen-Team widmete sich unter anderem dem Umfeld eines neu entdeckten antiken Gebäudes östlich von Bergama im Schwemmland des Kaikos (Bakır Çay) und seiner Zuflüsse (mehr dazu hier). Dieser Befund könnte in Zukunft eine neue Basis für die Bewertung von Naturkatastrophen als Faktoren bei der Transformation der Siedlungsstruktur in der Mikroregion Pergamon bieten.

Solche und zahlreiche andere Themen wurden am 7. November 2020 beim zweiten „Werkstattgespräch“ von TransPergMikro mit über 35 Teilnehmer*innen der Videokonferenz diskutiert (Programm). Die interne Veranstaltung diente dem ersten interdisziplinären Austausch von Ergebnissen, die während der diesjährigen Arbeitskampagne und bei der Analyse von Probenmaterial aus dem Jahr2019 erzielt werden konnten.

Diese knappe Präsentation eines Ausschnitts der vielfältigen Aktivitäten im Rahmen der DAI-Pergamongrabung und von TransPergMikro soll mit den Maßnahmen im Bereich von Baudenkmalpflege und Kulturerhalt schließen. Ein echter Meilenstein konnte mit dem Abschluss der langjährigen Arbeiten zur Restaurierung und Musealisierung der Roten Halle von Pergamon (Abb. 16) erreicht werden (mehr dazu hier). Mit der Wiederherstellung eines historischen Geschäftshauses aus dem 19. Jahrhundert in der Altstadt von Pergamon (Abb. 17. Förderung durch die Gerda Henkel Stiftung) soll für die Bewohner*innen des ehemaligen Griechenviertels unterhalb des Grabungshauses ein neuer Ort der Austausches und der Begegnung mit touristischen Besucher*innen geschaffen werden. Wir hoffen, dass wir die Eröffnung nach Ende der Pandemie mit einem ortsüblichen Nachbarschaftsfest feiern können.


Unser besonderer Dank gilt allen Teilnehmer*innen der diesjährigen Kampagne für ihr weit überdurchschnittliches Engagement und Verantwortungsbewusstsein. Dem Ministerium für Kultur und Tourismus der Republik Türkei danken wir für die Genehmigung unserer Arbeiten, den drei Regierungsvertreter*innen für ihre kollegiale Unterstützung. Gleiches gilt für die Leitung des Museums Bergama und die Stadtverwaltung Bergama. Last but not least sei den Förderern der Pergamongrabung gedankt, ohne deren Großzügigkeit und Vertrauen unsere Arbeiten nicht möglich wären.

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