Frühe Kulturgeschichte Chinas in Karten

Die Autoren der Reihe „Atlas der Kulturdenkmäler Chinas“ haben alle im landesweiten Survey der 1980er Jahre dokumentierten Fundplätze in 27 Bänden separat für jede Provinz, Autonome Region und Regierungs-unmittelbare Stadt kartiert und klassifiziert. Herr Hosner hat die Grundinformationen der 51.536 Plätze – geographische Koordinaten, Datierung, Zuordnung zu einer archäologischen Kultur oder Periode – aus diesen 27 Bänden zusammengeführt und damit die weltweit gegenwärtig einzige, frei zugängliche, gesamtchinesische archäologische Datenbank für den Zeitraum ca. 8000-500 Jahre v. Chr. geschaffen. Zum ersten Mal wird ein Vergleich  von Besiedlungsdichten in Nord- und Süd-China möglich und er zeigt deutlich asynchrone Muster von Veränderungen. Die Domestikation von Reis, die im kulturhistorischen Narrativ Chinas eine so große Rolle spielt, hat offensichtlich nicht sofort zu einem markanten, dem reislosen Norden überlegenen oder zumindest ebenbürtigen Anstieg der Fundplatzzahlen geführt.

Ein Archiv von außerordentlich hohem Wert für Archäologen, Historiker, Paläoklimaforscher u. a. historisch arbeitende Disziplinen.

Startbild: Topographische Karte Chinas mit Länder- und Provinzgrenzen, wichtigsten Flüssen und Seen und angrenzenden Meeren. Orangefarbene Punkte: 51.536 archäologische Fundplätze aus der Zeit ca. 8000 – 500 Jahre v. Chr., die einer Raum-Zeit-Analyse unterzogen wurden (Karte: D. HOSNER).

Vorwort
Aus den Forschungen der Arbeitsgruppe von Frau Prof. Dr. Mayke WAGNER am Deutschen Archäologischen Institut (DAI) im Rahmen des Clusters 2 „Innovationen: technisch, sozial“ ist die Dissertation von Herrn Dominic HOSNER hervorgegangen. Dominic HOSNER hat die wichtigsten Ergebnisse für Sie zusammengefasst:

Kulturgeschichte Chinas in Karten: Digitalisierung der archäologischen Fundplatzkartierungen aus der Buchreihe „Atlas der Kulturdenkmäler Chinas“ vom Frühneolithikum bis zur frühen Eisenzeit (ca. 8000-500 v. Chr.)

von Dominic HOSNER

Um eine systematische Katalogisierung aller unbeweglichen Kulturdenkmäler Chinas zu ermöglichen, wurden in China, bis zum Verfassen der vorliegenden Arbeit, drei landesweite archäologische Surveys vom Staatsrat Chinas initiiert und unter der Leitung des Staatsamtes für Kulturerbe durchgeführt. Die Surveys begannen 1956, 1981 und 2007 und dauerten jeweils etwa drei bis fünf Jahre. Teams der regionalen archäologischen Institute erfassten archäologische Fundplätze aller prähistorischen und historischen Epochen. Die hauptsächlich während der zweiten Kampagne in den 1980er Jahren gesammelten Daten von mehr als 200.000 Fundplätzen werden seit 1989 vom Staatsamt für Kulturerbe in chinesischer Sprache in der Buchreihe „Atlas der Kulturdenkmäler Chinas“ 中国文物地图 herausgegeben (Abb. 2 und 3).

(links) Abb. 2: Frontcover des „Atlas der Kulturdenkmäler Chinas“, Guangdong. Dieser Band wurde 1989 als erster Band der Atlas-Reihe veröffentlicht. (rechts) Abb. 3: Frontcover des „Atlas der Kulturdenkmäler Chinas“, Shanghai. Dieser Band wurde 2017 als 27ter und neuester Band veröffentlicht.

Die Ergebnisse der statistischen Auswertung an aussagekräftigen Zeitschnitten sind eindrucksvoll, denn sie zeigen eine ganze Reihe von Überraschungen und geben viel zu denken.

Die Verbreitungsmuster der in dieser Arbeit aufgenommen 51.536 archäologischen Fundplätze können im eingebundenen Video dynamisch über Zeit und Raum betrachtet werden. Diese Darstellungsart lässt den Wandel der Fundplatzkonzentration auf dem gesamten Territorium Chinas, besonders in den kulturellen Kernregionen Nord- und Zentralchinas in den Einzugsgebieten des Gelben Flusses und des Wei-Flusses, in Nordostchina im Liao-Fluss-Tal und im Süden Chinas entlang des Jangtse und seiner Zuflüsse, erkennen.

Topographische Karte Chinas mit Länder- und Provinzgrenzen, wichtigsten Flüssen und Seen und angrenzenden Meeren. Der Zeitstrahl läuft in 1-Jahres-Schritten von ca. 8000-500 v. Chr. und die 51.536 archäologischen Fundplätze dieser Arbeit werden ihren zugeordneten Chronologien entsprechend dynamisch dargestellt. Alter und Anzahl der Fundplätze können zu jedem Zeitpunkt dem eingebundenen Diagramm, links unten, entnommen werden (Karte: D. HOSNER).

Der Norden und Süden Chinas zeigen deutliche Unterschiede in den Fundplatzzahlen über den analysierten Zeitraum hinweg. In Nordchina ist eine erste signifikante Zunahme bereits im fünften Jahrtausend v. Chr. sichtbar und die höchsten Fundplatzkonzentrationen lassen sich während der Bronzezeit im zweiten Jahrtausend v. Chr. bis in die erste Hälfte des ersten Jahrtausends v. Chr. erkennen. Im Vergleich dazu bleiben die Fundplatzzahlen im Süden Chinas während des gesamten Neolithikums vergleichsweise niedrig. Einerseits ist das Bild etwas verzerrt, weil die Daten einiger Provinzen in Südchina noch nicht veröffentlicht wurden. Andererseits spiegelt dieser auffällige Unterschied der Zahlen zwischen Nord und Süd aber auch den Forschungsstand und vor allem die schlechte Fundplatzerhaltung im Süden wieder. Ein erster signifikanter Anstieg an Fundplatzzahlen ist in Südchina erst in der Mitte des zweiten Jahrtausends v. Chr. zu verzeichnen. Ein Maximum an Fundplatzzahlen wird in beiden Regionen Chinas um ca. 1000 v. Chr. erreicht.

Eine besonders signifikante Veränderung in den Fundplatzkonzentrationen findet während des Übergangs vom späten dritten zum frühen zweiten Jahrtausend v. Chr. statt. In den Einzugsgebieten des mittleren Gelben Flusses und des mittleren und unteren Jangtse lässt sich ein starker Abfall an archäologischen Fundplatzzahlen erkennen, während es zeitgleich zu einem erhöhten Anstieg von Fundplatzzahlen in der Region des Liao-Flusses kommt. Um diese Fundplatzentwicklungen deutlicher zu machen, wurden das späte Neolithikum, ca. 2350 v. Chr. und die frühe Bronzezeit, ca. 1750 v. Chr., als Zeitschnitte extrahiert und die Fundplatzkonzentrationen auf 100×100 km Rasterzellen berechnet (Abb. 4). Die Karten A1 und B1 zeigen die normale Fundplatzdarstellung, die Karten A2 und B2 zeigen die berechneten Fundplatzkonzentrationen von einem bis 261/2213 Fundplätzen pro Rasterzelle und die Karten A3 und B3 zeigen nur die jeweils drei höchsten Fundplatzkonzentrationen, um die Aussagekraft der Fundplatzentwicklungen zwischen den Zeitschnitten nochmals zu erhöhen.

Leipe et al. (2019) argumentieren, dass die mit der ökonomischen Entwicklung einhergehende steigende Bevölkerungsdichte und -konzentration in den wachsenden Siedlungen und ihr verstärkter Kontakt mit den asiatischen Steppengebieten zu diesem Rückgang an Bevölkerungszahlen und kultureller Prosperität in Zentralchina geführt haben könnten. Hosner et al. (2016) haben auf Grundlage derselben Faktoren das Verbreiten des Pesterregers durch die Afanasievo und/oder Andronovo Kultur und dessen Auswirkung auf die dicht bevölkerten Siedlungscluster in Nordchina als eine mögliche Ursache für die genannten Veränderungen in den Fundplatzzahlen und -konzentrationen diskutiert.

Abb. 4: Schematische Karten Chinas, die die Verteilung der aus den Atlanten digitalisierten archäologischen Fundplätze für die ausgewählten Zeitschnitte ca. 2350 v. Chr. und ca. 1750 v. Chr. zeigen. Diese Zeitschnitte wurden gewählt um zu vermeiden, dass Fundplätze der vorhergehenden und nachfolgenden Periode gleichzeitig angezeigt werden (Karte: D. HOSNER).

Die in der Online-Datenbank PANGAEA veröffentlichten und frei zugänglichen Daten können im Rahmen von Forschungen zur Frühzeit Chinas genutzt werden, wie z.B. zu Fragen der Ausbreitung von Ackerbau und Viehzucht, zu Bevölkerungsdynamiken, welche mit der Änderung von Subsistenzwirtschaftssystemen, dem Entstehen von sozialer Hierarchie und frühen urbanen Zentren einhergehen, aber auch zu Mensch-Umwelt-Beziehungen. Insgesamt ist die  Studie ein eindrucksvolles Beispiel dafür, wie groß das Erkenntnispotential der „Digital Humanities“ angewandt auf Fragestellungen der Ostasiatischen Archäologie ist.

Danksagung:

Dieses Projekt wäre niemals ohne die Unterstützung einer Vielzahl an Lehrern und Kollegen möglich geworden, bei denen ich mich hiermit ganz herzlich bedanken möchte:

Prof. Dr. Mayke WAGNER, Prof. Dr. Jeong-hee LEE-KALISCH, Prof. Dr. Pavel TARASOV, Frau CHEN Xiaocheng, Herr Andreas FLECK, Dr. Sebastian VOGEL und Dr. Christian LEIPE.

Ebenfalls möchte ich dem Deutschen Archäologischen Institut (DAI) danken, dass die Entwicklung der für die Datenaufnahme und -analyse verwendeten Softwarepakete CHARDA-Xplore und Map-Xplore im Rahmen des Cluster 2 „Innovationen: technisch, sozial“ gefördert hat. Für die finanzielle Unterstützung während der Datenaufnahme und -analyse wird dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF Förderung 01UO1310) herzlich gedankt.

Vorveröffentlichungen:

Zusätzlich zitierte Literatur:
C. Leipe/T. Long/E. A. Sergusheva/M. Wagner/P. E. Tarasov, Discontinuous spread of millet agriculture in eastern Asia and prehistoric population dynamics. Science Advances (5), 2019, eaax6225.


Blogmaster: Pascal Olschewski